Bekräftigung

Diese kleine Szene trug sich vor etwas über 30 Jahren in einem Klassenraum einer Grundschule am Niederrhein zu. Statt des gewohnten Religionslehrers Herr Klops, betritt ein völlig Unbekannter den Klassenraum der 7-8 jährigen. Er stellt sich als Pfarrer T. Vor und teilt Gesangsbücher aus.

T.: So, ihr kleinen Hosentrompeter*. Bald habt ihr Erstkommunion und um euch auf den Kommunionsunterricht vorzubereiten, bin ich für ein paar Wochen hier. Wir singen zuerst das Lied auf Seite X zusammen, „Niemand ist größer als unser Herr und Gott.“

(ein kleiner Junge hebt die Hand)

T:: Ja?

S.: Warum?

T.: Damit ihr das Lied kennt, es ist Teil des ….

S.: Nein. Warum ist niemand größer?

(Hier hält das Universum, zumindest der religiöse Teil, den Atem an, denn das ist einer der Punkte, die ganze Geschichten entscheiden)

T.: Warum, warum! Das ist halt so. Gott ist Gott und niemand steht über Gott und jetzt halt die Klappe und sing.

S.: (singt nicht mit)

T.: Äh, ich meine natürlich, du sollst mitsingen. Nicht die, äh, Klappe…

S.: Nein.

T.: Was?

S.: Nein, ich singe das nicht. Und ich gehe auch nicht zur Kommunion. Ich will, dass Herr Klops wieder kommt.

….

S. ist tatsächlich nicht zur Erstkommunion gegangen und hat sich später geärgert, als seine Freunde ihre neuen Fahrräder oder die Kassettenrekorder vorführten, die sie geschenkt bekommen haben. Einmal mit 12 oder 13 ist er schwach geworden, als ein neuer Pfarrer in der Gemeinde war und eine „Kinderbibelwoche“ veranstaltete. Allerdings versuchte die Kirche ihren Glauben als Spaß und geselliges Beisammensein zu vermitteln und stieß da bei dem eher ernsthaften Halbwüchsigen, für den Religion ganz sicher kein Spaß war (er hatte in der Bibel gelesen) auf Unverständnis. Außerdem hasste er Basteln, Singen und „pädagogische“ Spiele.

Und weil ich langsam einen Cäsarenkomplex kriege, gestehe ich, dass ich S. war. Dieser Vorfall ist mir wieder so präsent, weil Lapis und ich am vergangenen Sonntag bei der Konfirmation einer Nichte waren. Das letzte Mal war ich zu einem Gottesdienst in einer Kirche, da war ich 16 und wollte meiner Oma einen Gefallen tun. Eigentlich wollte ich mich wie ein Aal aus dieser Sache rauswinden, aber gewisse Umstände (es waren Torten, Eier und eine sehr dicke Frau darin verwickelt) machten es unmöglich, diesen Kelch an mir vorüberziehen zu lassen. Und weil die Frau wirklich sehr dick war, musste ich auch mit in die Kirche.

Wie einige wissen, bin ich nicht nur Ethnologe, sondern vor allem Dingen Religionswissenschaftler. Ich habe meine Magisterarbeit über Fundamentalisten im amerikanischen Süden geschrieben. Ich habe die verschiedensten Religionen der Welt studiert, an Zeremonien teilgenommen, Gottesdienste besucht und mich auf Diskussionen mit Mormonen, Pfingstlern und Zeugen Jehovas eingelassen. Aber wie Claude Lévi-Strauss so treffend bemerkte, ist der Ethnologe in seiner eigenen Kultur ein Fremder. Deswegen habe ich christliche Kirchen in Deutschland immer gemieden. Vielleicht wegen der Borniertheit dieses Pfarrers, vielleicht wegen des Ex-Raucher Syndroms. Ich war froh, dass ich da raus bin und jeder weitere Kontakt verursachte mir Unbehagen. Komischerweise war Religion immer mein Lieblingsfach an der Schule gewesen, was sicher daran lag, dass ich fast immer sehr gute Lehrer hatte, die ihre Schüler ernst nahmen.

Jedenfalls nahm ich an dieser Zeremonie teil und weil ich inzwischen fast 40 Jahre alt bin, unterdrückte ich jeden Impuls, allzu angeekelt auszusehen. Ich hatte zu Beginn meinen Prozessor abgeschaltet und konnte nun beobachten, wie sich die Lippen der Anwesenden zu solchen erbaulichen Liedzeilen wie: „Lobe den Herren/der künstlich und fein dich bereitet/der dir Gesundheit verliehen (HA!)/dich freundlich geleitet“ oder „Lass mich Vertrauen fassen/auf dich mich verlassen. Ich möchte dir gehören/und deinen Namen Ehren.“ Aber am besten hat mir gefallen: „O du, den unser größter Regent uns zugesagt: komm zu uns, werter Tröster/ und mach uns unverzagt. Gib uns in dieser schlaffen und glaubensarmen Zeit/ die scharf geschliffenen Waffen der ersten Christenheit.“**

Vielleicht versteht ihr, warum dieses Erlebnis vor 30 Jahren mir wieder sehr deutlich vor Augen stand. Aber dieser Konfirmationsgottesdienst hat mich tatsächlich erleuchtet. Zum einen Begriff ich, was mich schon immer an den großen monotheistischen Religionen gestört hat: das sich-unterwerfen. Dass man sich als Gläubiger absichtlich klein macht und duckt. „Oh Herr, ich bin unwürdig!“ Und dann erwarten sie, dass Gott was macht? Einen Helferkomplex entwickelt? Was ist, wenn Gott findet, ja, ihr seid unwürdig, also verpisst euch aus meinem Vorgarten? Was ist das für ein Gott, dem es gefällt, wenn alle Welt ihm in den Allerheiligsten kriecht? Keiner, mit dem ich was zu tun haben möchte. Von daher war diese Zeremonie auch meine eigenen Konfirmation. Nämlich die Bekräftigung meines Entschlusses, meiner eigenen Wege zu gehen und das Christentum Christentum sein zu lassen.

 

 

*Das hat er wirklich und im Ernst, gesagt!

** Die Texte lagen für die schlaffen und glaubenarmen Kirchgänger freundlicherweise aus.

4 Gedanken zu “Bekräftigung

  1. Winston

    Ich habe in meiner Jugend die selbe Entscheidung getroffen, wenn damals auch aus den falschen Gründen. Ich wollte lieber draussen Spielen, als in einer stickigen Bude Konfirmationsunterricht zu nehmen.

    Heute weiss ich, die Macht eines Gottes wächst mit der Zahl seiner Anhänger. Götter haben in dieser Welt schon genug angerichtet. Man sollte sie nicht noch dabei unterstützen.

  2. Vernatiger

    Ich war im zarten Alter von 17 Jahren mit einer Freundin aus christlichem Hause liiert. Bereits vor dieser Beziehung stand ich jedweder Religion mit einer omnipotenten Gottheit als Zentralfigur kritisch gegenüber. Jedenfalls bekräftigten mich diese 3 Jahre Beziehung (die Freundin selbst war nicht so streng christlich wie der Rest der Familie) in meiner Entscheidung dem Christentum mit einer gewissen Abneigung zu begegnen, die darauffolgenden Diskussionen mit unzähligen Gläubigen verstärkten meine Meinung. Sobald ihnen die Argumente ausgingen wurden immer wieder Schlüsselworte wie „innerer Glauben“, „Seelenheil“ und „Halt im Leben“ eingestreut.

    Wahrscheinlich gibt es nur wenige Menschen die an gar nichts glauben, an keine Macht, keinen Sinn im Leben, an die Vermutung das sich der menschliche Verstand während der Evlution einfach nur entwickelt hat. UInd um sich die Natur und das Leben zu erklären war der Mensch einfach nur erfinderisch. Ich denke ich gehöre zu den wenigen Leuten die tatsächlich überzeugt davon sind das es im Leben keinen „großen Plan, kein Schicksal“ gibt.

    Ich wurde geboren, was ich mit diesem Umstand anfange bleibt alleine mir überlassen.

  3. tombs

    was von dir als schlüsselworte tituliert wurde, sind einige der guten argumente für eine religion. gibt genug andere und auch viele dagegen, aber diese vorzüge einfach so abzutun wirkt ein wenig von oben herab.

  4. Kent

    /sign @ tombs.

    es gibt viele menschen, die eben nichst mit ihrem leben anfangen können oder es einfach nur schlecht im leben haben. diese klammern sich an jeden funken hoffnung. für die sind die schlüsselworte, die du so abtust, die einzige hoffnung im leben.
    wie sagte kurt tucholsky so treffend: der mensch hat zwei überzeugungen: eine wenns ihm gut geht und eine wenns ihm schlecht geht. letztere nennt sich religion.

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