Konfusion

 

… oder: „Der Mann, der seine Frau mit der Spülmaschine verwechselte“

Lapis hatte eine angenehme Stimme. Ein schöner Alt. Ich habe ihr gerne zugehört, was bei ihrem Mitteilungsbedürfnis auch die Voraussetzung einer gelungenen Ehe ist. Heute höre ich ihr immer noch gerne zu. Weil ich sie liebe. Weil sie wichtige, witzige und interessante Dinge sagt. Allerdings kann es heute vorkommen, dass die Spülmaschine ein Geräusch macht, und ich es für Lapis‘ Worte halte.

Für diejenigen, die noch nie eine Miszelle gelesen haben, muss ich das erklären. Ich bin seit etwa zwei Jahren gehörlos. Taub, wie man früher sagte. Durch das Wunder der modernen Technik kann ich trotzdem hören. Man hat mir während der letzten OP ein Implantat auf den Gehirnstamm gesetzt. Genauer gesagt, auf den Teil, der für das Hören zuständig ist. Jetzt trage ich einen Computer hinter dem Ohr, mit dem man zum Mond fliegen könnte. Der rechnet die Töne eines eingebauten Mikrofons in elektrische Impulse um. Die schickt er an das Implantat, das sie wiederum an ein „Paddel“ in meinem Gehirn weiter gibt. Das Paddel reizt die für das Hören zuständigen Areale und heraus kommt ein Höreindruck. It’s all in your Brain.

Das hört sich vielleicht nach Science Fiction an. Für mich ist es auch ein bisschen so. Die Technik ist auch relativ neu und wird immer weiter verbessert. Das Implantat ermöglicht mir eine fast normale Kommunikation, wenn die Umstände günstig sind. Leider hat sie auch Grenzen. Hintergrundgeräusche, Stimmenwirrwarr und Männer mit Bärten sind die größten Hindernisse. Dazu kommen Menschen, die nuscheln, sehr schnell sprechen, in die Gegend schauen oder eine Hand vor den Mund halten. Denn in Wirklichkeit „höre“ ich nicht, sondern verarbeite eine Vielzahl von Eindrücken zu einem Höreindruck. Jeder für sich nützt nicht viel. Zwar klappt das reine „Hören“ mäßig gut. Lapis hat mal ein schönes Bild benutzt. Wenn das normale Hören eine Klaviersinfonie ist, so ist mein „Hören“ die gleiche Sinfonie, nur mit Boxhandschuhen gespielt. Ich kann in etwa erahnen, wie die Melodie ist, brauche aber Zusatzinformationen. Zum Beispiel die Lippenbewegungen (allerdings stinke ich beim reinen Lippenabsehen) oder ganz allgemein die Info, worum zum Teufel es geht. Wenn ich das Thema nicht kenne kann es gut sein, dass ich einer Unterhaltung folge, die nie geführt wurde. Nur wenn die Sätze dann immer bizarrer werden, komme ich auf die Idee, dass ich etwas falsch verstehe. Neulich hat mir eine völlig fremde Frau von ihrer Monatshygiene erzählt. Manchmal ist es ein Problem, bei Menschen, die ich nicht kenne, nicht mit der Frage „Entschuldigung, Sie haben mir jetzt nichts über Ihre Eierstöcke gesagt, oder?“ heraus zu platzen.

Die andere Grenze ist Musik. Sie ist ein einziger furchtbarer Krach. Und selbst der furchtbare Krach, den ich früher mochte, hört sich heute schrecklich an. Ich habe allerdings entdeckt, dass ich bei bekannten Stücken „Untertitel“ in meinem Kopf zuschalten kann. Wenn ich das Lied höre, spielt mein Gehirn das Stück mit, wie ich es mal mit den Ohren gehört habe. Mein Gedächtnis rekonstruiert die Musik aus dem Lärm. Hier helfen auch Zusatzinformationen. Etwa das Video dazu oder Gesangstexte. Leider kann ich so keine neue Musik hören. Obwohl. Kürzlich hörte ich ein neues Ska-Stück, dass eine sehr schöne Melodie hat. Und aus hier nicht weiter auszuführenden Gründen entdeckte ich, dass Marilyn Manson, den ich früher nie leiden konnte, einige sehr schmissige Stücke gemacht hat.

Die ultimative Grenze allerdings sind Geräusche. Sprache ist ja eigentlich auch ein Geräusch. Zumindest die Konsonanten. Geräusche und Sprache unterscheiden sich für mich lediglich darin, dass Geräusche überhaupt keinen Sinn ergeben. Allein die Identifikation der Geräusche stellt mich vor manchmal unlösbare Probleme. Autohupen, Hundegebell oder Kinderschreien „hört“ sich für mich absolut identisch an. Bei vertrauteren Geräuschen wie dem Miauen unserer Katzen erinnere ich mich zwar inzwischen, was das ist. Aber im Allgemeinen kann ich Geräusche, zu denen mir das Bild fehlt, nicht identifizieren. Schlimmer sind die Geräusche, die sich anhören, als würden sie Sinn ergeben. Manchmal sagt Lapis etwas zu mir, das ich nicht ganz verstehe. Dann frage ich nach und bekomme die Antwort: „Ich habe nichts gesagt. Draußen hat ein Auto gehupt.“

Ein Gedanke zu “Konfusion

Hinterlasse einen Kommentar