Engel

Als kleiner Junge hing über meinem Bett eine blonde, vollbusige Frau. Sie trug ein Bettlaken, zwei unpraktische Flügel und eine altmodische Frisur. Außerdem war sie entweder dumm oder sadistisch. Denn anstatt die blöden Blagen mit ihr auf dem Bild zu warnen, dass diese Kante am Abgrund da gleick abbröckelt und sie in die Tiefe reißt, grinste sie nur. Das war mein Schutzengel. Sobald ich aus dem „Stellvertreter Gottes e.V.“ ausgetreten war verschwand auch Frau de Sade und ward nie wieder gesehen.

Engel blieben immer am Rande meines Religionsradars. Einerseits sind sie Figuren, die faszinierende Frage aufwerfen. Andererseits hat die geballte Christenheit seit Ende des Mittelalters beschlossen, dass Engel „gut“ und niedlich sind. Basta. Die Speerspitze engelischer Verniedlichung sind die Putten, die das Christentum den griechischen Darstellungen des Gottes Eros entliehen hat. Seit dem Spätbarock kommt man in katholischen Kirchen kaum noch an kleinen nackten Jungs mit Flügeln vorbei.

Dabei sind Engel ursprünglich alles andere als debil grinsende Frauen in Nachthemden oder kleine dicke Kinder mit lächerlich kleinen Flügeln. Zuerst einmal muss man sich vergegenwärtigen, dass Gott im alten Testament kein Kumpel war. Gott war wie der Vater, der nach einem harten Tag im Büro nach Hause kommt und echt schlechte Laune hat. Ein Vater, der sich von keinem verdammten Jugendamt vorschreiben ließ, wie er seine verdammten Sprösslinge zu erziehen hat. Da setzte es auch mal was. Ein freches Wort und, zack, der Arsch hatte Kirmes. Wenn Sterbliche Gott sähen würde ihr Gesicht schnelzen. Wenn sie ihn hören würden, platzte ihr Kopf. Mit einigen seiner Lieblinge kommunizierte er zwar indirekt auch, aber meistens überließ er das Angestellten, Engeln. Dabei ist es im offiziellen Buch immer ein wenig ambivalent, was genau diese Engel denn nun sind. Sind sie ein Teil Gottes oder sind sie Wesen, die Gott vor den Menschen schuf und die ein Bewusstsein besitzen? Haben Engel einen freien Willen? Das sind Fragen, mit denen sich Religionswissenschaftler bis heute beschäftigen.

Wie stehen die Engel zu den Menschen? Wie bei allen Mythen sind auch hier die Bösewichter wieder einmal die interessanteren Figuren. Im apokryphe“ „Buch der Beobachter“ von Enoch (oder Henoch) wird geschildert, was in der Zeit zwischen der Vertreibung aus dem Paradies und der Sintflut geschah.

Offenbar reichte es Gott nicht, dass er die Menschen von seinem Campus ausgeschlossen hatte, als sie sein „Wissen von Gut und Böse“© OpenSource gemacht hatten. Er schickte seine Angestellten hinterher, damit sie auf die Racker aufpassen. Die Engel hatten den Auftrag, zu beobachten, aber nicht einzugreifen. So much for Schutzengel. Aber einer von ihnen, Asael (manchmal auch Azazel geschrieben), fand die Töchter Evas wohl echt niedlich und pfiff auf die Ermahnung seines Bosses. Er zeigte sich den Menschen und schneller als man „Sünde“ sagen kann, war eine der Töchter schwanger und Asael pater familiaris. Aber es reichte nicht, dass er sich verbotener Weise gezeigt hatte und „Unzucht“ mit einer Frau getrieben hatte. Er zeigte seinen neuen angeheirateten Verwandten auch, wie man schmiedet, Schmuck bastelt und den Frauen brachte er die Geheimnisse der Kosmetik bei. Asael war also der erste Avon-Berater. Diese liefen also bald aufgebrezelt durch die Gegend, während die Männer mit den neuen Waffen Versuche anstellten. Asaels Kollegen, gelangweilt von der ewigen Spannerei, spähten die Schnitten und sch…. pfiffen auf ihren Auftrag. Die Männer, völlig versunken in ihre neuen Schwerter und Äxte, bemerkten diese feschen anderen Männer nicht, die sich alsbald der einsamen und vernachlässigten Frauen annahmen. Als Morgengabe brachten sie ihren Gespielinnen weitere Geheimnisse des Chefs. Magie, Kräuterkunde, Astrologie, alles wurde von den Ex-Engeln gelehrt. Gott war wohl gerade auf Geschäftreise, er bekam von all dem nichts mit oder es interessierte ihn nicht.

Jedenfalls, neun Monate nachdem der Avon-Berater geklingelt hat, kommt ein Baby zur Welt. Ein schrecklicher Schreihals! Und größer als alle seine Altersgenossen. Die Frage, was heraus kommt, wenn man Engel und Mensch kreuzt wurde definitiv mit „Nichts Gutes“ beantwortet. Ohne auf die anatomischen Einzelheiten einzugehen berichtete Enoch, dass die Frauen Riesen gebaren. Diese Riesen, oder Nephilim“ wüteten dermaßen schlimm, dass sie sogar Einzug in die Hauptbibel erhielten (Gen 6, 1-5). Das Ende vom Lied kennen wir: Sintflut.

Die gefallenen Engel sollen in die Hölle verbannt worden sein und spukten dort als Dämonen rum. Asael wurde angeblich in einen Knast in der Wüste gesperrt, wo er bis heute auf seinen Prozess wartet. Und das 3000 Jahre vor Guantánamo!

Interessant ist vor allem, dass Enoch es als größte Sünde der gefallenen Engel betrachtete, dass sie den Menschen die geheimen Künste zeigten. Nachdem sie schon wegen Geheimnisverrates aus dem Garten Eden vertrieben wurden (einige Legenden behaupten übrigens, dass die Schlange auch ein getarnter Engel gewesen sei), wird bei der Geschichte der Beobachter wiederum Wissen als „Böse“ dargestellt. Beruhen alle rezenten Verherrlichungen der Dummheit und den Nichtwissens (Hollywood-Komödien, Degeto-Filme, George W. Bush, Neonazis) auf urchristlichen Traditionen?

 

 

8 Gedanken zu “Engel

  1. Gabe

    Hast du dir den Link angesehen?

    Kannst auch hier nochmal nachschauen: http://de.wiktionary.org/wiki/englisch
    Vierter Punkt bei „Bedeutungen“
    (Wikipedia ist nicht der Weisheit letzter Schluss, aber im Duden ließ sich weder unter engelisch, noch unter englisch was finden)

    PS: Ich will nicht klugscheißen, versteh mich da bitte nicht falsch.

  2. Kent

    @ skeltem: sehr schöne miszelle. gefällt mir sehr gut!

    @ klugscheisser:
    das mit dem englischen gruss ist gut. muss ich mir merken =)

    cheers bzw. ave maria, gratia plena, dominus tecum,

    kent

  3. Müsste es nicht eigentlich „engelich“ heißen? Ich mein, wir reden doch hier von Engeln und nicht von der Sprache Englisch. o__Ô
    Wobei ich jetzt selber durcheinander komme: künstlich, künstlerisch, tierisch, menschlich … Ich würde aber in jedem Fall zu ch statt sch tendieren.

    Gruß,
    Sam

  4. *Seufz* Angilikanisch? Anglistisch?
    Im Ernst, lasst mir ein bisschen künstlerischen Freiraum 😉
    Grammatikalisch korrekt müsste die Stelle wohl „Verniedlichung der Engel“ (also substantivisch) gebildet werden.
    Oh, und einen verspäteten Dank an Gabe. So etwas interessiert mich auch. Samyaza, der erste Links Gabes beantwortet auch deine Frage.

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