22 Jahre Rollenspiel: Mehr Menschen Online

Diese Miszelle ist die Fortsetzung von „22 Jahre Rollenspiel: Höhepunkte, Hexenmeister, Hvampire„.

 

Alles Gute geht einmal zu Ende. Nur die schlimmen Dinge bleiben ewig. Wie GZSZ, „Wetten dass…“, Dieter Bohlen oder Carmen Nebel. Nun gut. Das Ende der 90er Jahre sah auch das Ende des „Riesen aus Oggersheim“ als Bundeskanzler. Aber auch das Platzen der Dot.Com Blase, die Y2K-Hysterie, den weltweiten Sieg des HipHop in den Kinderzimmern, mein nachlassendes Gehör und den langsamen Niedergang der Pen&Paper Rollenspiele. Zufall? Wohl kaum.

Dabei waren gerade das Ende der 90er für mich eine sehr coole Rollenspielzeit. Ich hatte nach dem Studium einen Job an der Uni. Genug Zeit zum Spielen. Meine Runde war immer noch vor Ort und ich entdeckte mein neues Lieblingsrollenspiel. Das Spiel Exalted (erhöht, erhaben; auf deutsch „Die Hohen“)ist ebenso wie Vampire von White Wolf. Es orientiert sich an den asiatischen Anime-Serien und fernöstlichen Kampfkunstfilmen (Wuxia). Die Charaktere sind Halbgöttern gleich und können es mit einer großen Menge normaler Menschen, den „Komparsen“ aufnehmen. Als Ausgleich hasst sie die ganze Welt, sieht in ihnen Dämonen. Eine Ansicht, die das herrschende Establishment, die „Drachenblütigen“, geschürt hat seit sie den Erhabenen vor 1000 Jahren ein letztes blutiges Kündigungsschreiben in die sterbenden Hände gedrückt haben.

Exalted hat allerdings zwei Probleme. Für die Spieler kann die schiere Masse an zu werfenden Zehnseitern tatsächlich zu großen Umständen führen. Und Spielleiter können die Macht der Erhabenen unterschätzen. Zumal wenn sie bislang nur relativ schwache Charaktere in ihren Spielen hatten. Ich dachte, meine Vampire und Werwölfe hätten mich auf starke Figuren vorbereitet. Jedenfalls so lange, bis ein Erhabener der Sonne allein (!) ein vier tausend Köpfe zählendes Barbarenheer aufhielt. Sicher, der Spieler ist dabei extrem clever vorgegangen. Trotzdem tat er es schnell, allein, frontal, am Tag und hat auch noch überlebt. Als ich meine Notizen für die kommende Geschichte (die ein Barbarenheer beinhaltete) weg warf, nahm ich mir vor, künftig nichts unter 8000 Mann oder 2 Erhabene gegen meine Gruppe zu schicken.

Leider war dann Anfang des neuen Jahrhunderts der Punkt erreicht, wo ich meine Spieler nicht mehr verstehen konnte. Das bedeutete für mich das Aus meines geliebten Hobbys. Da wir zur gleichen Zeit nach Coburg zogen, verkaufte ich gleich meine gesamte Rollenspielsammlung. 5 Meter Regelbücher, Quellenbücher, Spielmaterialien. Das meiste von White Wolf. Die fast komplette alte „World of Darkness“. Nur Exalted habe ich behalten und das letzte Vampire Buch der aWoD „Gehenna“. In einer anderen Verzweiflungstat fing ich später an, Warhammer 40k zu spielen, ein Tabletop. Da es aber 1. mit Rollenspielen so viel zu tun hat wie Britney Spears mit einem zurechnungsfähigen Menschen und man 2. auch mit den Tabletoppern reden muss (Vorzugsweise laut! Vorzugsweise über die Auslegung einer obskuren Regel der 3. Errata der 5. Edition) hatte ich nichts gewonnen. Und ich konnte den gleichen Effekt der teuren billigen Plastikfiguren beobachten, den die teuren billigen Pappkärtchen auf mein Konto hatten. Genau.

Aber nicht nur mein persönliches Rollenspiel-Erlebnis war auf dem absteigenden Ast, sondern das Genre allgemein. Magazine und renommierte Verlage gingen ein. Das Schlachtschiff der Rollenspielindustrie, Tactical Studies Rules, mit dem alles angefangen hatte, wurde vom Sammelkartenboomkind Wizards of the Coast (allerdings schon 1997) aufgekauft. Für mich das einschneidendste Symbol des Wandels war die Fusion meines „Dealers“ White Wolf mit dem isländischen Online-Spiel Produzenten Crowd Control Productions (CCP) im Jahr 2006.

Der Niedergang hatte aber schon in den 90ern begonnen. Die Sammelkarten-Welle, ausgelöst durch Magic: the Gathering zog viele, vor allem junge, Spieler von den klassischen Rollenspielen weg. Dafür mag es viele Gründe geben, aber so wie ich es sehe waren es vor allem die kompetitive Natur der Sammelkarten, die das Turnierformat unterstützte, die gerade männliche Spieler von den eher kooperativen Rollenspielen abbrachte. Dazu kommt, dass man eben einfach mal schnell ein paar Runden Magic spielen kann, wohingegen für „echtes“ Rollenspiel der Ort und Termine abgesprochen werden müssen. Und unterschätzt niemals die Macht des Sammeltriebs! 😦

Als es am Anfang des Jahrhunderts dann preiswert wurde, über das Internet zu spielen wurden die P&P-Rollenspiele endgültig zum Nischenhobby. Hier hat man alle Vorteile der Sammelkartenspiele (kompetitiv, frei plan- und spielbar) keinen der Nachteile (Preis, Abhängigkeit von einem kaum zu kontrollierenden „Markt“, immer noch vorhandene Abhängigkeit eines begrenzten Mitspielerreservoirs) plus die Vorteile des Rollenspiels (Gemeinschaftserlebnis, persistente Welten erleben und erforschen, sich verbesserndes Alter Ego) plus die Vorteile der Computerspiele (einfache Zugänglichkeit, Regeln lernen sich leicht, online sind fast immer Mitspieler erreichbar, Technikaffinität). Der Erfolg eines Behemoths wie World of Warcraft zeigt, dass die geschickte Vermischung aller dieser Vorteile und Vermeidung der Nachteile traditionellen Rollenspiels wirtschaftlich ungeahnte Kräfte entfalten kann. Wenn das Spielerlebnis auch eher oberflächlich bleibt.

Ich spiele heute immer noch Rollenspiele. Oder wieder. Nachdem ich meine Sammlung verkauft hatte, habe ich es nicht ausgehalten. Und da mein Prozessor immer besser eingestellt war, habe ich wieder angefangen, zu leiten. Momentan leite ich eine Runde aus Lapis und zwei jungen Frauen hier aus Coburg. Ich frage mich, ob es nicht eine Strategie wäre, Rollenspiele mehr für Frauen zu konzipieren. Das Spielen mit- statt gegeneinander spricht ein weibliches Publikum an. Auch die Geselligkeit und Spielen als soziales Erlebnis könnte mit den richtigen Konzepten eine große Zahl neuer Spielerinnen in ein darbendes Hobby locken. Nur entsprechende Spiele sollten nicht den Fehler machen, auf die angeblich so friedlichen Frauenklüngel zu setzen. Meine Vampirdamen schreien regelmäßig nach Blut, wenn ihnen nicht genug gekämpft und gemetzelt wird.

 

3 Gedanken zu “22 Jahre Rollenspiel: Mehr Menschen Online

  1. Zidahya

    Der Niedergang des Abendlandes…. Rollenspiels scheint quasi sicher zu sein. Der Dealer meines Vertrauens klagt auch über rückläufige Absatzzahlen und der Untergang von FanPro muss nicht weiter kommentiert werden.
    Allerdings sehe ich die Fusion WhiteWolf – CCP positiv an. Da WW nicht nur sein Vampire Online erhält sondern die P&P Gemeinde auch ein EVE Rollenspiel.

Hinterlasse einen Kommentar